Dr. Lisa Broß im Interview: „Wir stehen beim Wasser vor großen Aufgaben“
Dr. Lisa Broß entwickelt am Kompetenzzentrum Wasser Berlin neue Konzepte für eine zukunftssichere Wasserwirtschaft. Im Interview spricht sie über Strategien gegen Wasserknappheit, die Bedeutung von Daten für die Versorgungssicherheit und aktuelle Ansätze zum Wassermanagement in Städten und in der Landwirtschaft.
Dieser Text ist Bestandteil des Wilo-Geschäftsberichts 2022.
„Wasser ist ein Menschenrecht und der gemeinsame Nenner für die Gestaltung einer besseren Zukunft. Aber Wasser steckt in großen Schwierigkeiten.“ So eröffnete António Guterres, Generalsekretär der Vereinten Nationen, die Weltwasserkonferenz im März dieses Jahres. Ist die Lage wirklich so schlimm?
Dr. Lisa Broß: Die Konferenz hat das Thema Wasser in der gesamten Gesellschaft noch einmal deutlich sichtbar gemacht. In ihren nachhaltigen Entwicklungszielen betrachten die Vereinten Nationen Wasser in all seinen Facetten – als Trinkwasser, als Abwasser, im Wasserkreislauf. Um diese Ziele zu erreichen, ist noch viel Arbeit nötig. Auch in Deutschland: Die Wasserverfügbarkeit hat sich hier in den vergangenen Jahren verschlechtert. Der Klimawandel ist auch bei uns längst angekommen – und mit ihm die Folgen für die Wasserversorgung.
Darauf hat die Bundesregierung inzwischen reagiert und im März eine Nationale Wasserstrategie verabschiedet. Sie soll sicherstellen, dass auch in Zukunft überall und jederzeit hochwertiges und bezahlbares Trinkwasser zur Verfügung steht. Wie schätzen Sie diese Strategie ein?
In Deutschland herrscht ein großer Investitionsstau, wenn es darum geht, Trink- und Abwassernetze zu sanieren und auszubauen. Wenn wir das weiter aufschieben, werden wir an Sicherheit bei der Ver- und Entsorgung verlieren. Gleichzeitig sind viele Renaturierungsmaßnahmen noch nicht umgesetzt. Das alles ist aber notwendig, damit wir auch in Zukunft gesunde und ausreichende Wasserressourcen nutzen können. Die Nationale Wasserstrategie geht dieses Thema ganzheitlich an. Sie soll den gesamten Wasserkreislauf wieder in einen guten Ausgleich bringen.
Welche Herausforderungen lassen sich jetzt mit der neuen Strategie angehen?
Das ist je nach Stadt und Region sehr unterschiedlich. Aus meiner Sicht geht es jetzt vor allem darum, die Infrastruktur nicht nur zu sanieren. Sie muss auch den veränderten Wasserverfügbarkeiten gerecht werden. Darüber hinaus sehe ich zwei große Themen. Zum einen das Management von Niederschlagswasser; es gibt immer mehr Ansätze, möglichst viel Wasser in den Städten zu halten, etwa durch die Begrünung von Fassaden und Dächern oder Versickerung vor Ort. Zum anderen die Wiederverwendung von Wasser: In der Landwirtschaft lässt sich auch Brauchwasser mit einem gewissen Nährstoffgehalt nutzen. Um Kartoffeln auf dem Acker zu bewässern, muss es nicht in Trinkwasserqualität aufbereitet sein – es reicht aus, unerwünschte Bestandteile wie Medikamentenrückstände und Chemikalien rauszufiltern. Die technischen und rechtlichen Möglichkeiten dafür haben sich in den vergangenen Jahren deutlich verändert, sodass auch dieses Thema immer bedeutsamer wird.
Solche Konzepte schienen in der Vergangenheit nicht notwendig zu sein: In Deutschland galt Wasser jahrelang als Rohstoff, der im Überfluss vorhanden ist. Hätte man schon eher erkennen können, dass das nicht der Fall ist?
Prinzipiell ja. Man hat jedoch die Herausforderungen, die durch den Klimawandel auf den Wassersektor zukommen, lange unterschätzt. Das liegt daran, dass viele Daten nicht verfügbar waren und es daher an Systemkenntnis fehlte. Wir haben heute einen viel besseren Überblick darüber, wie viel Wasser wo vorhanden ist und wie viel davon entnommen wird. Gleichzeitig haben wir durch verbesserte Analysemethoden einen besseren Blick auf Substanzen, die das Wasser verunreinigen und die vor einigen Jahren noch gar nicht nachweisbar waren.
„Um unsere aktuellen Defizite beim Wasser auszugleichen, müsste es eigentlich neun bis zwölf Monate durchgängig regnen. Wenn wir stattdessen weitere trockene und heiße Sommer haben, werden sich die jetzt schon sichtbaren Folgen der Wasserknappheit noch verschärfen.“
Wenn Daten die Basis sind, ist Digitalisierung dann der Schlüssel zur Lösung des Wasserproblems?
Wir verfügen heute über einen riesigen Datenschatz. Dieser hilft uns aber nur dann weiter, wenn wir auch zielführend mit ihm arbeiten. Dafür brauchen wir in erster Linie Menschen, die ihn handhaben können. Digitalisierung und künstliche Intelligenz können deren Arbeit erleichtern und verbessern. Wasser ist jedoch ein elementares Lebensmittel und ein zentraler Bestandteil der Daseinsvorsorge. Deshalb sollten wir heute und in Zukunft weiterhin größten Wert darauf legen, Menschen so auszubilden, dass sie die Entscheidungen treffen und uns nicht von künstlicher Intelligenz abhängig machen.
Wird uns dieses elementare Lebensmittel angesichts des Klimawandels auch in Zukunft in ausreichender Menge und guter Qualität zur Verfügung stehen?
Um unsere aktuellen Defizite beim Wasser auszugleichen, müsste es eigentlich neun bis zwölf Monate durchgängig regnen. Wenn wir stattdessen weitere trockene und heiße Sommer haben, werden sich die jetzt schon sichtbaren Folgen der Wasserknappheit noch verschärfen: Grund- und Oberflächenwasser gehen weiter zurück, mehr Wälder sterben, Städte werden trockener und heißer, die Biodiversität nimmt weiter ab. Hinzu kommen volkswirtschaftliche Folgen: Die Industrie muss ihre Produktion herunterfahren, weil Wasserentnahmen, etwa für die Kühlung, reguliert werden. Gerade aus solch einem Szenario schöpfe ich jedoch Zuversicht. In schwierigen Situationen können wir nämlich sehr schnell sehr viel bewegen. Das hat die Gasmangellage im vergangenen Jahr gezeigt, und das zeigt sich auch beim Wasser. Ich bin überzeugt davon, dass eine nationale Wasserstrategie noch vor fünf Jahren politisch nicht durchsetzbar gewesen wäre. Deshalb blicke ich zuversichtlich in die Zukunft. Wir stehen vor großen Aufgaben. Wir haben aber auch große Chancen, das Thema Wasser neu zu denken und anders umzusetzen als bisher. Diese sollten wir nutzen.
Über Lisa Broß:
„Wasser ist meine Leidenschaft.“ – Lisa Broß‘ Motto spiegelt sich auch in ihrem Lebenslauf wider: Nach ihrer Promotion zum Thema „Wasserversorgung in Notsituationen – Verfahren zur Beurteilung der Resilienz von Wasserversorgungssystemen unter Berücksichtigung der Ersatz- und Notwasserversorgung“ übernahm sie die Leitung des Bereichs Forschung und Entwicklung bei der Wasserversorgung Rheinhessen-Pfalz. Aktuell leitet sie die Gruppe Research & Business Development beim Kompetenzzentrum Wasser Berlin, im Oktober wechselt sie in die Bundesgeschäftsführung der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V. (DWA). Lisa Broß ist darüber hinaus in verschiedenen nationalen und internationalen Fachgremien tätig.