Länder

Suchen Sie Ihren Landesauftritt?

Kontakt
13.01.2025 CEO Standpunkt

Ohne Realitätsverzerrung ins Jahr 2025

Nachhaltigkeit Wasser Corporate Political Responsibility Klimaschutz Energieversorgung Urbanisierung Globalisierung 2.0 Creating Connecting Energiewende Caring

Portrait Oliver Hermes

Beschäftigungszahlen, Energiepreise, Börsenkurse – eine industriepolitische Einordnung.

Oliver Hermes ist Vorstandsvorsitzender und CEO der Wilo Gruppe, Vorsitzender des Kuratoriums der Wilo-Foundation, Mitglied des Kuratoriums der Stiftung Familienunternehmen, Mitglied des Kuratoriums des Deutschen Nachhaltigkeitspreises (DNP), Mitglied des Präsidiums des Nah- und Mittelost-Vereins e.V. (NUMOV) und Mitglied des Vorstandes des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft sowie der Subsahara-Afrika Initiative der Deutschen Wirtschaft (SAFRI). Er ist Essayist mit Beiträgen, die in unabhängigen Medien publiziert werden. Der Autor gibt seine eigene Meinung wieder.

Brennendes Haus

Zum Jahreswechsel hüllen sich politische Entscheider gerne in einen betäubenden Optimismus. Die besinnliche Gemütlichkeit der letzten Tage und Wochen eines Jahres nutzen sie, um den Blick ihrer Wähler weg von Problemen und Versäumnissen zu lenken, hin zu (vermeintlichen) Chancen. Der mantraartig wiederholte Tenor: Gestern ist vorbei. Morgen kann kommen. Packen wir es gemeinsam an.

Was die wirtschaftliche und industrielle Entwicklung Deutschlands angeht, wirkt diese Rhetorik zum Jahreswechsel 2024/2025 verzerrend. Und genau das macht sie höchstgefährlich. Begleitet von allerlei Fehlinterpretationen, entsteht so der Eindruck, die galoppierende Deindustrialisierung Deutschlands sei eine Herausforderung, die mit gesellschaftlichem Zusammenhalt allein zu lösen wäre.

Das Gegenteil ist der Fall. Während das Haus schon lichterloh in Flammen steht, lässt sich die deutsche Öffentlichkeit nicht mehr lange täuschen, es handle sich um ein Tischfeuerwerk. Spätestens, wenn sich der Nebel verzogen hat, wir vor den verkohlten Resten des Wirtschaftsstandorts Deutschland stehen und die Fakten nicht mehr schönzureden sind, ist zu viel wertvolle Zeit verstrichen – und der soziale Frieden und der gesellschaftliche Zusammenhalt sind erst recht in Gefahr. Die Kausalität ist also umgekehrt!

Klar ist: Wir müssen zuversichtlich bleiben. Alarmismus und Aktivismus sind die falschen Ratgeber. Doch müssen wir uns der Drastik unserer Situation endlich bewusst werden: Deutschland steht vor massiven strukturellen Problemen, die unseren Wohlstand gefährden. Nur wenn wir die Fakten erkennen, können wir gegensteuern. Deshalb ist es an der Zeit, mit Irrtümern aufzuräumen, die uns zu oft den Verstand vernebeln.

„Deutschland steht vor massiven strukturellen Problemen, die unseren Wohlstand gefährden.“

Oliver Hermes, Vorstandsvorsitzender und CEO der Wilo Gruppe

.

1. Die Beschäftigungszahlen

Der deutsche Arbeitsmarkt brummt ... wirklich? 46,1 Millionen Menschen waren 2024 in Deutschland erwerbstätig, wie das Statistische Bundesamt in den ersten Tagen des neuen Jahres mitteilte. Ein Rekordhoch. Doch der Schein trügt, denn zum Wachstum trug ausschließlich der Dienstleistungssektor bei. Darin enthalten sind zahlreiche Arbeitsplätze, die von der öffentlichen Hand bezahlt werden. Anders formuliert: Ein Nebeneffekt der überbordenden deutschen Bürokratie ist, dass Deutschland immer mehr Arbeitnehmer braucht, um sich selbst zu verwalten.

Viele dieser neu geschaffenen Arbeitsplätze sind Jobs in Teilzeit. Die Beschäftigten verdienen also weniger Geld, das sie ausgeben könnten, um unsere Wirtschaft anzukurbeln. Gleichzeitig zeigt die Statistik, dass die freie Wirtschaft kaum zum Wachstum der Beschäftigungszahl beitrug. Bei den Unternehmensdienstleistungen gingen Stellen verloren. Und noch viel dramatischer: Auch in der – in der Regel gut bezahlenden – Industrie sank die Beschäftigung. Dabei erwirtschaftet sie den Wohlstand unseres Landes, ist es doch nach wie vor zentrales Geschäftsmodell der Bundesrepublik Deutschland, Industriegüter zu exportieren.

Das Fazit ist ernüchternd. Die gestiegene Beschäftigung leistet kaum einen Beitrag zum Wirtschaftswachstum und zur Kaufkraft. Sie ist minderwertiger qualifiziert und schlechter bezahlt. So gibt es keinen Anstieg bei privatem Konsum und damit keine positiven Auswirkungen auf andere Branchen.

Die Zahlen werden zu oft fehlinterpretiert. Schlimmer noch, fälschlicherweise wird sich mit den Beschäftigtenzahlen gebrüstet, um wirtschaftliche Stabilität zu suggerieren. Dabei geht es unserer Wirtschaft substanziell schlechter als jemals zuvor. Die Insolvenzen steigen. Die Arbeitslosenquote stieg bereits jetzt auf 6 Prozent, doch die starken Effekte des Beschäftigungsabbaus realisieren sich erst im Jahr 2025. Wir laufen in das dritte Rezessionsjahr hintereinander. Das hat es in der Bundesrepublik so noch nie gegeben.

Stock market price display

2. Die Börsenentwicklungen

Nicht nur der Arbeitsmarkt, auch die Deutsche Börse machte zuletzt mit Rekordzahlen von sich Reden. Doch auch das Rekordhoch des Deutschen Aktienindex (DAX) verstellt uns den Blick auf die Wahrheit. Viel spricht dafür, dass wir aus den DAX-Erfolgen keinesfalls auf die wirtschaftliche Lage Deutschlands oder gar den deutschen Wohlstand schließen dürfen. Denn: Es steckt zu wenig Deutschland im Deutschen Aktienindex; zu erkennen beispielsweise daran, dass die dort gelisteten Unternehmen große Teile ihres Umsatzes im Ausland erwirtschaften.

Zudem haben sie ihre Lieferketten geoökonomisch und strategisch richtigerweise regionalisiert beziehungsweise lokalisiert oder sind dabei es zu tun. Dies gilt im Übrigen gleichermaßen auch für die häufig nicht-kapitalmarktorientierten Familienunternehmen. Es wird dort produziert, wo die Wachstumsmärkte im Ausland sind, und nicht mehr zuhause im eigenen Land, wo sich die Rahmenbedingungen für wirtschaftliches Handeln so dramatisch verschlechtern.

3. Die Energiepreise

Vor allem die hohen Energiepreise machen den Standort Deutschland für die Industrie unattraktiv. Schon lange fordert die heimische Wirtschaft Entlastungen, doch noch immer zählt Deutschland mit Blick auf die Industriestrompreise zu den fünf teuersten Standorten der Welt. Ein unhaltbarer Zustand für eine Industrienation. Die politische Reaktion darauf: eine subventionsfinanzierte Strompreissenkung. Also dann, alles gut?

Mitnichten. Diese wirtschaftspolitische Antwort auf das seit Jahren beklagte, wohl größte strukturelle Problem des Industriestandorts Deutschland, die Umverteilung von einigen Milliarden Euro, kann nur ein erster Schritt sein. Natürlich entlastet das Geld die deutsche Industrie. Doch ist es erst ausgegeben, hat sich also auch dieser Nebel erst verzogen, steigen die Preise wieder. Eine Antwort darauf, wie die Energiepreise langfristig gesenkt werden, bleibt die Politik der deutschen Industrie indes schuldig.

Klar ist, dass eine Industrienation eine subventionsfinanzierte Preissenkung langfristig nicht durchhält. Aber Unternehmer brauchen für Investitionsentscheidungen Planungssicherheit. Zu welchen Bedingungen werden sie in Deutschland in fünf bis zehn Jahren Energie beziehen? Es braucht langfristige Perspektiven. Und eine Politik, die den Grundprinzipien der Marktwirtschaft folgt. Preise werden von Angebot und Nachfrage bestimmt. Wer die Markt-Preis-Mechanismen als Basis aus Angebot und Nachfrage versteht, kapiert schnell, dass eine Verknappung des Angebots zu höheren Preisen führt.

Trotz der zunehmenden Energieknappheit reduziert Deutschland sein Energieangebot systematisch durch den Ausstieg aus der Kernenergie sowie aus der Kohleverstromung. Die Herausforderung, vor der wir stehen, ist jedoch nicht nur die Kompensation der durch die Exits ausgefallenen Leistung und der daraus resultierenden negativen Preiseffekte. Vergessen wird gerne, dass Energie nicht nur bezahlbar, sondern für die Wirtschaft auch sicher und der Bezug planbar sein muss.

Der Ausbau von Erneuerbaren Energien ist wichtig. Doch die Industrie ist auf eine stabile Grundlast angewiesen. Was, wenn es häufiger – wie bereits im November/Dezember des abgelaufenen Jahres geschehen – eine Dunkelflaute gibt, weil die Sonne nicht scheint oder der Wind nicht weht? Produktionspläne lassen sich nicht aus der meteorologischen Unwägbarkeit heraus entwickeln. Will Deutschland für die Industrie attraktiv werden, muss es den Schutz vor Dunkelflauten garantieren. Will Deutschland gleichzeitig auf konventionelle Energie aus Stein- und Braunkohle sowie Atomkraft verzichten, führt an einem bestenfalls sehr ambitionierten, vielleicht sogar realitätsfernen Ausbau von Verteil- und Speicherinfrastruktur kein Weg vorbei.

Hinzu kommt die Nachfrageseite. Ein Ausweg aus dem Kosten-Dilemma führt auch über eine stärkere Incentivierung von Maßnahmen zur Reduzierung der Energienachfrage. Verstärkte Energieeffizienzmaßnahmen würden die Kosten deutlich senken und substanziell mehr Versorgungssicherheit gewährleisten. Auch sie müssen Teil einer an Wirtschaft und Industrie ausgerichteten Energiewende 2.0 sein, die wir nun dringend brauchen.

Zusammenhalt ja, Realitätsverzerrung nein

Bundeskanzler Olaf Scholz betonte in seiner Neujahrsansprache, dass Deutschland die drittgrößte Wirtschaftsmacht der Welt sei. „Weil wir fleißig sind. Weil heute mehr Frauen und Männer arbeiten gehen als je zuvor in unserer Geschichte“, so Scholz. Fraglich ist, wie lange wir diese Spitzenposition noch halten, wenn wir nicht endlich umdenken.

Dazu zählt ein Umdenken bei der Energiewende. Ohne wettbewerbsfähige Energiepreise werden wir ein Industrieland ohne Industrie sein. Ohne Industrie verlieren wir unsere Resilienz und können kritische Infrastrukturen nicht mehr autonom aufrechterhalten. Wir werden von einer Exportnation zu einem abhängigen Importland. Der Wohlstand wird sinken. Deutschland wird ärmer.

Dazu zählt aber auch ein neuer Umgang mit der Realität. Der gesellschaftliche Zusammenhalt Deutschlands ist ein wichtiger Kitt und sicher auch ein Motor unseres Wohlstands. Doch gefährden wir ihn, ja sogar unsere Demokratie insgesamt, wenn wir nicht beginnen, uns mit unbequemen Wahrheiten zu konfrontieren.


Quellen: Tagesschau; Statistisches Bundesamt; Bundesagentur für Arbeit; Handelsblatt Research Institute; The Pioneer; ZDF heute; Presse- und Informationsamt der Bundesregierung