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24.04.2023 Globalisierung & Urbanisierung

Indien - Resilientes Wachstum

Geschäftsbericht 2022 Megatrends Management

Mr. Rajesh Nath, Managing Director of VDMA India

Rajesh Nath ist Geschäftsführer des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e. V. (VDMA) in Indien. Mit seinem Team agiert er als Bindeglied zwischen der indischen und deutschen Industrie, um den Informations- und Erfahrungsaustausch sicherzustellen.

Ein Subkontinent im Aufschwung: Indien ist nicht nur seit 2023 bevölkerungsreichstes Land der Welt, sondern auch wirtschaftlich von großer Dynamik.

Indien ist für die Wilo Gruppe ein wichtiger Wachstumsmarkt. Mit dem neuen Werk in Kesurdi entsteht derzeit der dritte Hauptproduktionsstandort von Wilo in dem südasiatischen Land. Wie rasant sich die indische Wirtschaft entwickelt und welche Chancen sich daraus ergeben, beleuchtet Rajesh Nath, Geschäftsführer des VDMA Indien, in einem Gastbeitrag.

Dieser Text ist Bestandteil des Wilo-Geschäftsberichts 2022.

Umgebungsbild Indien

Die Auswirkungen der großen aktuellen Krisen – Pandemie, Klimawandel und Krieg – sind weltweit spürbar. Nach zwei Jahren der Pandemie sollte sich die Weltwirtschaft im Jahr 2022 wieder erholen, doch der russische Einmarsch in die Ukraine ist eine weitere Belastung für Unternehmen. Zudem hat die strenge Null-Covid-Politik in China zur Störung der weltweiten Lieferketten geführt.

Globale Beschaffung wird von einem strategischen Vorteil zunehmend zu einer Notwendigkeit im Wettbewerb. Der intensive Wettbewerb hat dazu geführt, dass viele Unternehmen ihre Beschaffung auf Länder mit niedrigem Kostenniveau ausrichten. In Verbindung mit hohen Erwartungen von Anlegern an die Kapitalrendite zwingt er Unternehmen zu Kostensenkungen, um ihre Bilanzen unmittelbar zu verbessern. Gleichzeitig stehen Unternehmen vor der Herausforderung, die Lieferbereitschaft zu gewährleisten und Kontrollverluste zu verhindern.

Martkpräsenz ausbauen

Für deutsche Unternehmen sind gestörte Lieferketten eine Mahnung, Risiken zu minimieren und nach Alternativen für Einkauf und Fertigung zu suchen. In Indien ist ein wachsendes Interesse deutscher Unternehmen zu beobachten, ihre bisherige Präsenz auf dem indischen Markt auszubauen: bei der Beschaffung, durch die Positionierung indischer Standorte als Kompetenzzentren und durch die Fertigung einzelner Produktreihen für den Weltmarkt in Indien. Dadurch verschaffen sich deutsche Unternehmen eine breitere Lieferantenbasis und können eine „China + 1“-Strategie verfolgen. Eine Diversifizierung der Lieferketten ist jedoch nicht über Nacht möglich. Es bedarf einer gewissen Anlaufzeit, um Lieferanten zu finden, die Geschäftsbeziehung zu entwickeln und das vor Ort gefertigte Produktportfolio auszubauen. Doch die Schritte von heute werden in der Zukunft Früchte tragen.

Umgebungsbild Indien

Die Beschaffung aus Indien hat in letzter Zeit enorm zugenommen. Die gute Verfügbarkeit von Rohstoffen, Ressourcen und Fachkräften, das niedrigere Lohnniveau, Verbesserungen bei der Infrastruktur, moderne Technologien, zahlreiche technische Hochschulen sowie eine flankierende Regierungsstrategie in Indien sind günstige Standortfaktoren für Beschaffung und Produktion. Zudem ist Indien durch das Angebot an qualifizierten Fachkräften bei geringen Lohnkosten ein attraktiver Outsourcing-Standort für die globale Forschung und Entwicklung. Dieser Trend wird nicht nur von Großkonzernen verfolgt, sondern auch vom deutschen Mittelstand, der die IT-Kompetenz in Indien nutzt, um Technologiezentren für die Entwicklung der Industrie 4.0 sowie für Servicefunktionen aufzubauen.

Indien rückt in den Vordergrund

Nach einem schwierigen Pandemiejahr 2020 schafften die Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und Indien im Jahr 2021 die Trendwende im Bereich Investitionsgüter, die sich 2022 fortsetzte. Dies lag jedoch nicht nur an der deutlichen Steigerung der Exporte deutscher Maschinen und Anlagenbauer nach Indien, sondern auch an Importen aus Indien: Im Jahr 2021 stiegen die Lieferungen aus Indien im Maschinenbausektor im Vergleich zum Vorjahr um über 41 Prozent auf rund 980 Millionen Euro. In den ersten zehn Monaten des Jahres 2022 stiegen die Importe um weitere 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Es ist daher davon auszugehen, dass die Importe aus Indien in 2022 zum ersten Mal die Marke von einer Milliarde Euro übertreffen werden. Dies ist ein deutliches Zeichen dafür, dass Indien als Beschaffungsmarkt für den Maschinen- und Anlagenbau weiter in den Vordergrund rückt.

Was sind die wesentlichen Faktoren für diese Entwicklung? Die internationalen Lieferketten sind bekanntlich unter Druck geraten. Insbesondere exportorientierte Unternehmen entwickeln aus diesem Grund Strategien, um ihre Lieferketten resilienter zu gestalten und zu diversifizieren. Der Schwerpunkt liegt darauf, Abhängigkeiten zu verringern, um die eigene Lieferfähigkeit zu wahren. „Dual Sourcing“ bzw. „Multiple Sourcing“ ist das Gebot der Stunde. Zudem hat Indien zollrechtlich noch immer den Status eines Entwicklungslandes. Die zollfreien Einfuhrmöglichkeiten in die EU, die sich daraus ergeben, sind ein nicht zu vernachlässigender Vorteil.

Tendenz zur Diversifizierung erkennbar

In Zukunft dürfte der indische Beschaffungsmarkt für ausländische Marktteilnehmer noch interessanter werden. Die massive Störung von Lieferketten und die damit verbundenen Lieferverzögerungen insbesondere aus Ostasien haben internationale Produzenten aus der Investitionsgüterbranche aufgeschreckt. Derzeit ist eine deutliche Tendenz zur Diversifizierung zu beobachten: Unternehmen wollen ihre Abhängigkeit von Einzellieferanten reduzieren. Diese Rückbesinnung auf die Bedeutung von Alternativen könnte qualifizierten indischen Produzenten die Möglichkeit geben, sich als zuverlässige Partner von global tätigen Maschinenbauern stärker international aufzustellen. Gleichzeitig könnten sich daraus zusätzliche Chancen für den deutschen Maschinenbau ergeben, da in der indischen Industrie weiterhin ein hoher Modernisierungsbedarf besteht. Der Erfolg der indischen Lieferanten könnte daher die Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und Indien im Bereich Maschinenbau intensivieren.

„Globale Beschaffung wird von einem strategischen Vorteil zunehmend zu einer Notwendigkeit im Wettbewerb.“

Umgebungsbild Indien

Indien hat sich als resilient erwiesen und die Störungen infolge der Krise recht gut bewältigt. Das Wirtschaftswachstum in Indien betrug im vierten Quartal 2022 4,4 Prozent. Im Jahr 2022 lag das Bruttoinlandsprodukt bei 3,2 Billionen US-Dollar. Damit hat Indien sein BIP seit 1990 verzehnfacht. Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen hat sich im selben Zeitraum auf 2.200 US-Dollar mehr als verfünffacht. Das verarbeitende Gewerbe in Indien hat 2021/2022 ausländische Direktinvestitionen im Wert von 21,34 Milliarden US-Dollar angezogen – eine Zunahme um 76 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

In der zweiten Hälfte des Jahres 2022 hat sich diese Entwicklung mit weiter steigenden Auftragsproduktionszahlen fortgesetzt. Der Einkaufsmanagerindex ging im Januar 2023 leicht zurück auf 57,2, nachdem er im Dezember ein Sechs-Monats-Hoch von 58,5 erreicht hatte. Er lag damit geringfügig unter den Prognosen.

Wachstum bringt Exportmöglichkeiten

In Indien blickt das verarbeitende Gewerbe mit Zuversicht in die Zukunft und erwartet ein steigendes Produktionsvolumen. Zu den Gründen, die für die optimistischen Prognosen genannt wurden, zählen intensivierte Vertriebs- und Marketingaktivitäten. Die indische Regierung arbeitet darauf hin, mit ihrer Volkswirtschaft ein Volumen von 5 Billionen US-Dollar zu erreichen, wobei die verarbeitende Industrie und der Dienstleistungssektor einen wesentlichen Beitrag leisten sollen. Dies wird bedeutende Exportmöglichkeiten mit sich bringen.

Die Ergebnisse der kürzlich durchgeführten Geschäftsklimaumfrage des VDMA unter seinen Mitgliedern in Indien spiegeln die positive Stimmung bei den deutschen Unternehmen in Indien wider. 96 Prozent der Befragten melden gute oder zufriedenstellende Geschäfte für 2022, nur 4 Prozent negative Ergebnisse. 88 Prozent gaben eine normale bis überdurchschnittliche Kapazitätsauslastung an. Nur 10 Prozent der Unternehmen verzeichnen derzeit eine unterdurchschnittliche Auftragslage, 56 Prozent melden überdurchschnittlich gut gefüllte Auftragsbücher – ein großer Sprung im Vergleich zur letzten Umfrage. Die größten Hindernisse für Unternehmen stellen Rohstoffkosten und Engpässe bei Rohstoffen sowie Lieferverzögerungen der Zentrale dar. 56 Prozent planen Neueinstellungen, 42 Prozent wollen ihre aktuelle Belegschaft beibehalten. Nur 2 Prozent werden in den kommenden sechs Monaten möglicherweise Stellen abbauen. In diesem Zeitraum erwarten 58 Prozent der Befragten eine Verbesserung der Lage, 40 Prozent erwarten eine unveränderte Lage, und nur 2 Prozent der Teilnehmer rechnen mit einer Verschlechterung.

Vor dem Hintergrund neuer Herausforderungen für Geopolitik und Weltwirtschaft dürften die Handelsbeziehungen zwischen Indien und dem Rest der Welt um ein Vielfaches wachsen.